Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Illustration: Raffael, Das salomonische Urteil (Detail)

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Staatskirchenrecht und Kirchenrecht in der juristischen Praxis

Staatskirchenrecht und Kirchenrecht haben eine oft unterschätzte Bedeutung für die alltägliche Rechtspraxis. In so gut wie allen ihren Gebieten kommen Fälle mit staatskirchenrechtlichem oder kirchenrechtlichem Bezug vor:

  • Die Frage nach Schutz und Schranken der Religionsfreiheit stellen sich im Arbeitsrecht, öffentlichen Dienstrecht, Bauplanungsrecht, Datenschutzrecht, Deliktsrecht, Europarecht, Friedhofsrecht, Gewerberecht, Hochschulrecht, Medienrecht, Mietrecht, Schulrecht, Sozialrecht, Steuerrecht, Strafrecht, Vereinsrecht, Versammlungsrecht und vielen anderen Zusammenhängen.
  • Die Kirchen und ihre rechtlich selbständigen Untergliederungen und Einrichtungen nehmen am allgemeinen Rechtsverkehr (im weitesten Sinne) teil. Das Kirchenrecht hat eine vielfältige „bürgerliche Wirkung“ auf die Rechtsverhältnisse zu anderen Personen. Hier kann besonders das kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht genannt werden, das in Deutschland für zusammen rund eine Million kirchliche Mitarbeiter gilt. Das hat Folgen auch für die juristischen Berufsbilder des säkularen Rechts. Richter an Arbeitsgerichten entscheiden in Streitigkeiten über die Rechtsfolgen des kirchlichen Arbeitsrechts. Rechtsanwälte sind als Rechtsberater von kirchlichen Arbeitnehmern und Mitarbeitervertretern gefragt – um so mehr, je besser sie sich in der Materie auskennen. Die öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisse von Pfarrern und Kirchenbeamten werden durch das kirchliche Dienstrecht geregelt. Über Streitigkeiten entscheiden nach den kirchlichen Gerichten wiederum oft noch die staatlichen Gerichte, soweit es um die Einhaltung der staatskirchenrechtlichen Grenzen des Kirchenrechts geht. Rechtsanwälte können auch aus diesem Bereich mit Mandaten rechnen. Wer als Richter oder Anwalt in solchen Rechtskonflikten seinen Beitrag zur Rechtspflege leisten will, muß mit dem Kirchenrecht professionell umgehen können: Er muß es finden – die Komplexität schon dieser Herausforderung ist nicht zu unterschätzen –, er muß es sachgerecht auslegen und verständig auf den Rechtskonflikt anwenden können.
  • Im Notariat begegnet das kirchliche Organisationsrecht, wenn es um die Vertretung einer kirchlichen juristischen Person, die Rechtsnachfolge in eine vor längerer Zeit begründete Rechtsstellung oder die gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung einer selbständigen kirchlichen Einrichtung geht. Der Notar muß also ebenfalls mit dem Kirchenrecht professionell umgehen können.
  • Viele Verwaltungsrechtsverhältnisse sind durch Kirchenrecht mitgestaltet: die Rechtsverhältnisse der Freien Schulen in kirchlicher Trägerschaft, die Kooperation mit der Kirche für den Religionsunterricht, die Rechtsverhältnisse der kirchlichen Sozialeinrichtungen und der kirchlichen Friedhöfe, die Zusammenarbeit mit der Kirche bei der Kirchensteuerverwaltung, die kirchliche Beteiligung im Rundfunk, die Aufsicht über kirchliche Stiftungen, die Verwirklichung des kirchlichen Datenschutzes und vieles andere mehr. Sobald der Beamte der staatlichen Verwaltung mit einem solchen Verwaltungsrechtsverhältnis zur Kirche zu tun hat, kann das Kirchenrecht relevant werden.
  • Die staatlichen Ministerialverwaltungen brauchen Juristen, die „auf höchster Ebene“ die Rechtsbeziehungen des Staates zu den Religionsgemeinschaften pflegen.
  • Die Kirchen selbst beschäftigen Juristen in einer Vielzahl von Stellen. Juristen sind in den Kirchenleitungen tätig und erfüllen dort Aufgaben, die denen in einem Ministerium ähneln, nur noch reicher an Verantwortung und Abwechslung sind. Juristen arbeiten auf den höheren Ebenen der kirchlichen Verwaltung und leiten selbständige kirchliche Einrichtungen mit meist einer Vielzahl von Mitarbeitern. Sie befassen sich aus der Perspektive der kirchlichen Selbstbestimmung mit dem Staatskirchenrecht, sie üben die Aufsicht über Kirchengemeinden nach Maßgabe des kirchlichen Organisationsrechts und sie führen die dienst- und arbeitsrechtlichen Verhältnisse der kirchlichen Mitarbeiter.
  • In der Kirche gefragt sind auch hauptberuflich selbständige oder im staatlichen Dienst stehende Juristen, um kirchliche Nebenämter zu versehen, insbesondere die ehrenamtliche Tätigkeit als Richter an kirchlichen Gerichten.

Die Ergänzung der juristischen Ausbildung um das Staatskirchenrecht und Kirchenrecht entspricht also der Forderung nach Profilbildung, wie sie mit Blick auf die berufliche Praxis von der juristischen Ausbildung zunehmend erwartet wird.

Weiter: Woher? – Staatskirchenrecht und Kirchenrecht in Studium und Ausbildung

Das regelmäßige Lehrangebot zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht; Staatskirchenrecht und Kirchenrecht als Grundlagenfach, im Schwerpunktbereich, in der Praktischen Studienzeit, im Theologiestudium, im Referendariat; Promotion...

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