Geschichte der Juristischen Fakultät 1502-2006
Die Juristenfakultät Halle kann auf eine lange, erfolgreiche Vergangenheit blicken, die entsprechend der historischen Entwicklung der heutigen Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg von drei Traditionslinien geprägt ist: von der wittenbergischen, von der halleschen und von der bis in die Gegenwart reichenden halle-wittenbergischen.
Die Gründung der Universität Wittenberg im Jahre 1502 stellt verfassungsmäßig insofern einen Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Universitäten dar, als diese Hochschule nicht mehr als eine kirchliche Institution, sondern bewusst als Staatsanstalt für das Kurfürstentum Sachsen geschaffen wurde. Diese Neuerung berührte die neu errichtete Juristenfakultät nur indirekt. Sie unterscheidet sich nach Lehrinhalt und –methodik zunächst überhaupt nicht von den schon bestehenden Juristenfakultäten. Sogar von der vorherrschenden geistigen Bewegung, dem Humanismus, blieb sie in den ersten Anfängen unberührt. Das gilt zumindest für die beiden ersten Rechtslehrer, die von Tübingen nach Wittenberg kamen. Doch schon ihre Nachfolger waren Anhänger der humanistischen, andere auch der aus ihr erwachsenen reformatorischen Bewegung. So stand der langjährige Ordinarius Hieronymus Schürff, einer der gesuchtesten Gutachter seiner Zeit, auf Seiten Luthers und Melanchthons. Er beriet Luther auf dem Wormser Reichstag. Danach spielte die Universität Wittenberg dreihundert Jahre lang als Trägerin und Hüterin der Reformation eine große Rolle. Sie hatte einen enormen Zulauf an Studenten, was sich auch auf die Immatrikulationszahlen der Juristischen Fakultät positiv auswirkte. Die sächsische Landesregierung musste deshalb stets bemüht sein, hervorragende Lehrkräfte für diese Fakultät zu gewinnen. Zu Beginn des 18.Jahrhunderts galt die Wittenberger Juristenfakultät als die bestbesetzte im deutschen Bereich. Danach begann ganz allmählich der Ruhm dieser Fakultät zu schwinden.
Im Jahre 1694 wurde die brandenburgische Universität Halle mit der politischen Zielstellung gegründet, ein geistiges Gegengewicht gegen die benachbarten sächsischen Universitäten Wittenberg und Leipzig zu schaffen und den lutherisch-orthodoxen Lehren mit der Aufklärung eine neue geistige Bewegung entgegenzusetzen. Den ersten Anstoß gab der Jurist und Frühaufklärer Christian Thomasius, der, von der sächsischen Universität Leipzig vertrieben, vom brandenburgischen Kurfürsten die Zustimmung erhielt, in Halle Vorlesungen zu halten. Er war ein Vertreter des neuzeitlichen Naturrechts und hat diese Lehren ganz entscheiden in die Neugründung eingebracht. Ebenfalls noch vor der offiziellen Einweihung verpflichtete der Kurfürst den berühmtesten deutschen Zivilrechtler der damaligen Zeit, Samuel Stryk, nach Halle. Neben der theologischen Fakultät pietistischer Richtung war innerhalb weniger Jahre die juristische Fakultät zu einem bedeutenden Faktor der Universität Halle geworden, die in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens - ähnlich wie einst Wittenberg- sehr schnell zur bedeutendsten Universität in Deutschland aufstieg. Neben Christian Thomasius und Samuel Stryk wirkten weitere berühmte Juristen, wie Justus Henning Böhmer, Johann Peter von Ludewig, Nikolaus Hieronymus Gundling (Hauptvertreter der staatsrechtlich-historischen Schule in der Rechtswissenschaft) u. a. Viele bedeutende Vertreter der preußischen Beamtenhierarchie haben ihre Ausbildung an der halleschen Juristenfakultät erfahren und die naturrechtlichen Lehren dann in die Staatspraxis umgesetzt.
Die moderne Entwicklung in der Rechtswissenschaft ging von Halle in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts auf die entstehende Universität Göttingen über. Halle blieb zwar eine geachtete Universität, eine führende Rolle spielte sie nicht mehr, wenn auch durchaus anerkannt werden muss, dass in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts gerade die Juristenfakultät wieder einen Aufschwung erlebte, der aber durch die napoleonischen Kriege bald wieder entschieden gestört wurde. Die politische Konstellation nach den Befreiungskriegen brachte es mit sich, dass der Kurkreis Wittenberg von Sachsen an Preußen fiel. Die Universität Wittenberg wurde preußisch. Aus den Universitäten Halle und Wittenberg wurde eine gemeinsame Hochschule mit dem Sitz in Halle geschaffen. Es entstand die Vereinigte Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg. Die juristische Fakultät entwickelte sich wieder zu einer geachteten Bildungsstätte, an der berühmte deutsche Juristen des 19.Jahrhunderts - zumindest vorübergehend - gewirkt und zum Aufschwung der deutschen Rechtswissenschaft in der internationalen Arena beigetragen haben. Auch am Anfang des 20. Jahrhunderts blieb dieser Trend bestehen. Erst die beiden Weltkriege lösten die entscheidenden Veränderungen aus. Ein vorübergehender Niedergang der deutschen Juristenfakultäten ist unverkennbar, wobei mit der Vertreibung der jüdischen Rechtslehrer während der Nazizeit ein ungeheurer Aderlass eingetreten war, der erst lange Zeit nach Ende des Zweiten Weltkrieges in den alten Bundesländern erfolgreich überwunden werden konnte. In den neuen Bundesländern wurde seit 1950 im bewussten Bruch mit der jahrhundertealten deutschen Rechtsentwicklung unter mehr oder weniger starkem politischen Druck eine "Sozialistische Rechtswissenschaft" aufgebaut, die alles viel besser gestalten sollte, aber, von wenigen Fachbereichen abgesehen, in ihrer Einseitigkeit stets nur ein Torso blieb, weshalb diese Juristenfakultäten nach der Wiedervereinigung abgewickelt wurden, um mit den Neugründungen wieder an die traditionelle deutsche Rechtswissenschaft anknüpfen zu können. Diesen Weg hat auch die hallesche Juristenfakultät erfolgreich eingeschlagen.
Die dafür eingesetzte Gründungskommission und drei unter ihrer Anleitung stehende Berufungskommissionen haben nicht nur den Lehrkörper in allen grundlegenden Fachbereichen so weitgehend erneuert, dass der Studienbetrieb voll gewährleistet ist, sondern auch die rechtlichen Grundlagen für eine erfolgreiche Forschungsarbeit geschaffen. Damit stand der offiziellen Wiedereröffnung der halleschen Juristenfakultät am 1. Juli 1993 nichts mehr im Wege. Sie ist bemüht, an die großen Traditionen in der Geschichte der Universitäten Wittenberg und Halle vor und nach ihrer Vereinigung anzuknüpfen.
Prof. em. Dr. habil. Dr. h. c. R. Lieberwirth